27.10.2020

Archivale im Fokus

Tagesordnungspunkt 1 der ersten Sitzung des Sächsischen Landtages: Begrüßung durch Alterspräsident Dr. Böttrich
Tagesordnungspunkt 1 der ersten Sitzung des Sächsischen Landtages: Begrüßung durch Alterspräsident Dr. Böttrich 
© Quelle: SächsStA-D, 13796, Nr. 2177, 1. Sitzung, 27.10.1990_1

Rege Debatte auch ohne Plenarsaal – Am 27. Oktober jährt sich zum dreißigsten Mal die erste Sitzung des Sächsischen Landtags seit der Wiedergründung des Freistaates Sachsen 1990.

Die Konstituierung des Landtages fand nach einer ökumenischen Andacht in der Kreuzkirche und einer kurzen Besichtigung des Dresdner Ständehauses im Versammlungsraum der Dreikönigskirche statt.1 Für drei Jahre, bis zur Einweihung des neuen Plenarsaales im Sächsischen Landtag am heutigen Bernhard-von-Lindenau-Platz, sollte die Dreikönigskirche das Plenum zu seinen Sitzungen beherbergen.

Der Alterspräsident Dr. Heinz Böttrich eröffnete diese erste Sitzung um 11:34 Uhr. Nach der umfangreichen Begrüßung der Ehrengäste leitete Dr. Böttrich den Tagesordnungspunkt 2 zur Beschlussfassung über eine vorläufige Geschäftsordnung ein. Im Vorhinein offenbar unterschätzt, begann damit ohne Umschweife eine ausgiebige Diskussion zu parlamentarischen Grundsatzfragen und dem vorläufigen Charakter der zu beschließenden Geschäftsordnung. Natürlich erwuchsen Teile dieser Debatte aus der Unerfahrenheit und Unsicherheit mit dem genauen Ablauf einer Parlamentssitzung – aber dies war nicht die einzige Ursache. In den Redebeiträgen lässt sich insbesondere ein noch tief sitzendes Misstrauen der Abgeordneten erkennen, das prägend für die gesamte Sitzung werden sollte. Ein Misstrauen gegenüber Regelungen, welche die Mehrheitsfraktion einseitig übervorteilen und die Oppositionsparteien zu Statisten degradieren könnten.2 Der mit dem eingespielten parlamentarischen Betrieb in den alten Ländern vertraute Prof. Kurt Biedenkopf schrieb in seinem Tagebuch nachträglich zu der Sitzung:

»Den neu gewählten Parlamentariern fällt es schwer, sich an Mehrheitsentscheidungen zu gewöhnen, auch in den Reihen der Mehrheit selbst. Bisher musste man sich um Konsens bemühen, denn für Mehrheiten am Runden Tisch gab es keine institutionellen Vorkehrungen.«3

Und weiter:

»Tatsächlich hat die Auseinandersetzung durchaus Format. Fragen des Selbstverständnisses des neuen Parlaments und seiner Fraktionen sind immer bedeutsame Fragen.«4

Letztendlich konnte die vorläufige Fassung der Geschäftsordnung angenommen werden, worauf die Verpflichtungserklärung für alle Mitglieder des Sächsischen Landtages und die Wahl des Landtagspräsidenten Erich Iltgen folgte.5

Großen Diskussionsbedarf und zahlreiche Beratungspausen rief noch einmal die Verabschiedung des Gesetzes zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages und der Landesregierung hervor. Am Ende wurde es mit großer Mehrheit (126 zu 27 Stimmen) angenommen und ermöglichte noch in derselben Sitzung die Wahl des Ministerpräsidenten. Vorher folgte u. a. die erfolgreiche Abstimmung über die Bezeichnung des Landes Sachsen als Freistaat. Der elfte Tagesordnungspunkt brachte schließlich die Wahl Kurt Biedenkopfs zum Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen mit 120 von 152 Stimmen. Nach der Vereidigung des Ministerpräsidenten endete die erste Sitzung des neukonstituierten Sächsischen Landtages mit dem Gesang der Nationalhymne nach fast 8 Stunden um 19:08 Uhr.

Der Sächsische Landtag unterhielt seit seiner Neukonstituierung bis in das Jahr 2017 ein eigenes Archiv. Aufgrund einer Vereinbarung ging diese Aufgabe auf das Sächsische Staatsarchiv über. Die Bestände des Landtagsarchivs werden nun vom Hauptstaatsarchiv Dresden verwahrt und zugänglich gemacht.

[1] Sehr deutlich zu erkennen im Redebeitrag von Dr. Karl-Heinz Kunckel, SPD-Fraktion, zum Entschließungsantrag zu Minderheitenrechten für die parlamentarische Opposition, Drucksache 1/5.

[2] Kurt H. Biedenkopf, 1989-1990. Ein deutsches Tagebuch, Berlin 2000, S. 399. Laut Kurt Biedenkopf zeigte ein Denkmalpfleger den Anwesenden die Eingangshalle des Ständehauses, wobei er sich auch zu einer möglichen Restaurierung äußerte.

[3] Biedenkopf, 1989-1990, S. 401

[4] Ebd.

[5] Weiterhin wurden Vizepräsidenten, Präsidium und Schriftführer gewählt.

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