03.04.2018

Archivale im Fokus: Platinkesseldiebstahl in der Muldner Schwefelsäurefabrik vor 110 Jahren

Aktendeckel der Akte zum Platinkesseldiebstahl, 1908 - 1913 (SächsStA-F, 40035 Oberhüttenamt, Nr. 1043) 
© Sächsisches Staatsarchiv

Diebstahl kam in den Bergbau- und Hüttenbetrieben Sachsens immer wieder vor. Das geförderte Erz, Werkzeuge und die hergestellten Edelmetalle mussten vor unbefugtem Zugriff geschützt werden.

Im Bergarchiv sind deshalb auch umfassend kriminelle Vorkommnisse belegt. In mehreren Beständen befinden sich Akten, welche Zeugnis von der berggerichtlichen Tätigkeit der Bergbehörden ablegen. Neben Quellen über Morde, Vergewaltigungen und Selbstmorde sind dort auch Diebstahl, Amtsmissbrauch und Erzpartiererei (Hehlerei) sowie andere kleinere Delikte auf Grubengebäuden und in den Hüttenwerken zu finden.

Ein spektakulärer Fall war der Diebstahl des Platinkessels in der Muldner Hütte. Der Platinkessel von etwa 30 kg Gewicht und einem veranschlagten Wert von ca. 70 000 Mark befand sich im Konzentrationsgebäude der Schwefelsäurefabrik, eingebaut in einen Ofen. Konzentrierte Schwefelsäure greift verschiedene Metalle an, nicht jedoch Blei, Gold und Platin. Schwefelsäure wird für verschiedene Verhüttungsprozesse von Erzen benötigt. Der Platinkessel war also für die Muldner Hütte ein wichtiges Werkzeug zur Herstellung der für die Verhüttung notwendigen Grundstoffe.

Luftbildaufnahme des Hüttenwerkes Muldenhütten
Luftbildaufnahme des Hüttenwerkes Muldenhütten 1925  © SächsStA-F, 40095 VEB Bergbau- und Hüttenkombinat "Albert Funk" Freiberg samt Vorgängerbetrieben und Nachfolgern, Nr. 2-O3271.
Gebäudekomplex des Werkes Muldenhütten
Gebäudekomplex des Werkes Muldenhütten 1938  © SächsStA-F, 40095 VEB Bergbau- und Hüttenkombinat "Albert Funk" Freiberg samt Vorgängerbetrieben und Nachfolgern, Nr. 2-S1895.

In der Nacht vom 22. zum 23. Mai 1908 zwischen 22 und 23 Uhr wurde dieser Kessel gestohlen, während eines schweren Gewitters. Eine halbe Stunde nach der Tat wurde der Diebstahl durch den Nachtaufseher der Hütte entdeckt, der sofort Maßnahmen zur Verfolgung der Diebe einleitete und Meldung an Hüttenverwaltung und Polizei erstattete. Das Oberhüttenamt und die Hüttenverwaltung Muldenhütten versandten unverzüglich vertrauliche Informationsschreiben über den Diebstahl an diverse Gold- und Silberscheideanstalten in Deutschland und im Ausland.

Antwortschreiben der Platinaffinerie und Schmelze Hanau vom 25. Mai 1908 auf ein Rundschreiben des Oberhüttenamtes Freiberg nach dem Diebstahl
Antwortschreiben der Platinaffinerie und Schmelze Hanau vom 25. Mai 1908 auf ein Rundschreiben des Oberhüttenamtes Freiberg nach dem Diebstahl des Platinkessels  © SächsStA-F, 40035 Oberhüttenamt, Nr. 1043, S. 15.

Im Verlauf der polizeilichen Untersuchungen konnte als einer von drei Tätern der mehrfach vorbestrafte Elektromonteur Karl Ferdinand Heinrich Lieckfeld aus Hannover ermittelt werden. Lieckfeld hatte bereits 1907 im Hüttenwerk Oker im Nordharz einen Platinkessel im Wert von 40 000 Mark gestohlen, diesen zerschnitten und als Altplatin verkauft. Gemeinsam mit dem Antiquitätenhändler und Hehler von Edelmetallen, Julius Papenberg, ebenfalls aus Hannover, fuhr Lieckfeld im April 1908 nach Freiberg und besichtigte unter falschem Namen die Halsbrücker- und Muldner Hüttenwerke, um nach Diebesgut Ausschau zu halten. Schon am 22. Mai fuhren die beiden Personen mit einem gewissen Herrn Lauenstein erneut nach Freiberg zur Werksbesichtigung, vergewisserten sich, dass der Platinkessel vorhanden und nicht mit Säure befüllt war und entschlossen sich noch in derselben Nacht zu dem Diebstahl. Es gelang ihnen, den Kessel aus dem Werksgelände heraus zu bringen. Aber bei dem Versuch, den Kessel aus Transportgründen im Wald zu zerschneiden, wurden die Täter wohl von Ihren Verfolgern gestört und mussten den Platinkessel in einem Versteck zurücklassen.  

Schon am Sonntag, den 24. Mai wurde der Kessel zufällig durch einen Schüler des Freiberger Gymnasiums in einer Schleuse des Bahndamms im sogenannten Rosinenbusch bei Zug (heute ein Ortsteil von Freiberg) gefunden. Der Schüler erhielt später dafür einen Finderlohn von 314 Mark. Der Kessel war unversehrt, bis auf ein Loch im Boden.

Lieckfeld wurde verhaftet und im Januar 1909 von der I. Strafkammer des Königlichen Landgerichts zu Freiberg wegen schweren Rückfalldiebstahls zu 10 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrenrechtsverlust verurteilt. Die beiden anderen Mittäter hatten sich anscheinend ins Ausland abgesetzt. Die Untersuchungen gegen sie wurden weitergeführt.

Die Verwaltung der Muldner Hütte und das Oberhüttenamt ergriffen unmittelbar nach dem Diebstahl umfangreiche Maßnahmen zur Verhütung von Einbruch und Diebstahl auf den Hüttenwerken in Halsbrücke, Muldenhütten und der Münzstätte. Dies dokumentieren entsprechende Erlasse über ein verstärktes Kontrollsystem und den Einbau umfangreicher Schutzvorrichtungen.

Bereits im Juni 1908 beantragte die Verwaltung der Muldner Schwefelsäurefabrik beim Oberhüttenamt die Genehmigung zur Beschaffung neuer Kessel und den Umbau der Anlage. Der Antrag wurde am 29.Juni 1908 vom Sächsischen Finanzministerium genehmigt. Unter Abgabe des alten Kessels als Altplatin konnten über die Firma G. Siebert in Hanau zwei neue Platinkessel bestellt und die gesamte Konzentrationsanlage umgebaut werden.

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