Beständeübersicht
Bestand
31128 VEB Kammgarnspinnereien Karl-Marx-Stadt
Datierung | 1871 - 1971 |
---|---|
Benutzung im | Staatsarchiv Chemnitz |
Umfang (nur lfm) | 8,09 |
1. Geschichte des VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt und seiner Vorgänger
Der VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt ging 1953 aus dem Zusammenschluss von Firmen hervor, die ihre Ursprünge in Harthau, Lugau und Chemnitz/Karl-Marx-Stadt hatten. Deren Geschichte ist bislang kaum erforscht.[01] Auslöser der Industrialisierung im Chemnitzer Raum war zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Baumwollspinnerei. Dagegen scheiterten Versuche, Fabriken zum Verspinnen von Schafwolle dauerhaft zu etablieren, zunächst. Selbst das große Unternehmen Detlev Carl Graf von Einsiedels in Wolkenburg musste Ende 1807 die Schafwollspinnerei aufgeben und sich auf die Baumwollverarbeitung umstellen.[02] In Chemnitz verspann wahrscheinlich als erste Fabrik in größerem Maßstab seit etwa 1830 die zunächst als Kattundruckerei und Baumwollspinnerei betriebene Firma Ackermann & Co. auch Schafwolle.
1841 trat C. F. Solbrig, den man wohl den Stammvater der Kammgarnspinnerei im Chemnitzer Industriegebiet nennen kann, in diese Firma ein und führte sie unter seinem Namen weiter. 1849 verkaufte er die Chemnitzer Fabrik und verlagerte die Produktion in die vormalige Bernhardsche Baumwollspinnerei im Vorort Harthau. Seither widmete sich Solbrig ausschließlich der Kammgarnspinnerei. Seine Harthauer Fabrik wandelte er 1871 in die Sächsische Kammgarnspinnerei AG um. Im Jahr 1863 erwarb Solbrig die 14 Jahre zuvor verkaufte Fabrik in Chemnitz zurück. Hier entstand die Kammgarnspinnerei Solbrig Söhne, die seit 1907 als Aktiengesellschaft firmierte. Der Direktor der Sächsischen Kammgarnspinnerei in Harthau, Paul Schäfer[03], schied 1885 aus, um eine eigene Fabrik aufzubauen. Deren Gründungsversammlung fand am 8. April 1886 statt. Die neue Firma, die Kammgarnspinnerei Schäfer & Co., KG, siedelte sich ebenfalls in Harthau an. 1905 wurde die Kommanditgesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Weit später, am 15. Juli 1920, wurde in Chemnitz die Wollindustrie Aktiengesellschaft gegründet. Sie verlegte 1921 ihren Firmensitz nach Köln und 1926 nach Harthau.
Noch unzureichender sind wir über die Anfänge der Kammgarnspinnerei in Lugau informiert. Wahrscheinlich um 1860, möglicherweise auch schon früher, entstand hier die Firma Drescher & Co. Sie nahm zunächst nicht die Größe der Solbrigschen Fabriken an. Von Bedeutung wurde, dass Drescher den Berliner Wollgroßhändler F. Hey belieferte. Dieser muss von dem Lugauer Standort beeindruckt gewesen sein, denn er kaufte im Dezember 1883 die Firma auf, führte sie unter seinem Namen fort und baute sie in großem Maßstab aus. 1894 wurde daraus die Lugauer Kammgarnspinnerei AG (Nr. 224, 225).[04]
Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren die besten für die Kammgarnspinnereien der Chemnitzer Industrieregion, obwohl auch einige Krisenjahre zu überstehen waren. In dieser Zeit entstanden zahlreiche neue Fabrik-, Neben- und Wohngebäude. Die Shedhallen der Firmen bestimmten das Bild der Gemeinden. Der Maschinenpark und die Fabrikanlagen wurden auf den modernsten Stand gebracht. Im Rekordjahr 1907 schüttete man bei Schäfer 15 Prozent Dividende aus. Die Fabriken waren eng mit den Weltmärkten verflochten. Die Rohwolle kam aus allen Schafzuchtgebieten der Erde, von Island und Irland, über Südamerika bis nach Australien und Neuseeland. Über den Absatz wissen wir bislang kaum etwas. Er wird sich wohl auf das Inland und einige europäische Nachbarländer beschränkt haben.
Die Arbeiterschaft rekrutierte sich in der Hauptsache aus den jeweiligen Gemeinden und den Nachbarorten sowie aus den Nahwandergebieten des überbevölkerten sächsischen und böhmischen Erzgebirges. Zeitweise konnte dadurch allein der Arbeitskräftebedarf nicht gedeckt werden, so dass 1896/97 die Sächsische Kammgarnspinnerei Arbeitskräfte über eine Arbeitsvermittlung im schlesischen Landsberg anwerben ließ (Nr. 195). Um aus der Fernwanderung kommende jugendliche Arbeiterinnen unterzubringen, errichtete man ein Mädchenheim. In Harthau, Lugau und Chemnitz gab es um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine starke Arbeiterbewegung. In den Kammgarnspinnereien mit ihrer überwiegend aus Frauen bestehenden Belegschaft spürt man davon nichts. Die erhalten gebliebenen Strafenbücher (Nr. 180 und Nr. 218) dokumentieren aber im Fabrikalltag einen ständigen Kleinkrieg zwischen den männlichen Vorgesetzten und den Arbeiterinnen.
Der Erste Weltkrieg traf die Kammgarnspinnereien und deren Belegschaften hart. Während im Chemnitzer Maschinenbau von 1915 bis 1918 Arbeitskräftemangel herrschte, kam es in der Textilindustrie zu einem enormen Überschuss, obwohl viele Spinnerinnen in die Metallbranche wechselten. Die Arbeitslosigkeit der Textilarbeiterschaft in Chemnitz lag während des Krieges bei durchschnittlich ca. 6.000 Personen. In der Sächsischen Kammgarnspinnerei arbeitete ein Jahr nach Kriegsbeginn nur noch ein Drittel der Spinnmaschinen. Schäfer produzierte von 1914 bis 1917 im Auftrag der Heeresverwaltung farbige Garne zur Herstellung von Uniformen, wurde aber für das gesamte letzte Kriegsjahr zwangsweise stillgelegt. Die Solbrig Söhne AG gehörte zu den 8 großen Spinnereien im Chemnitzer Industriegebiet, die infolge des Hilfsdienstgesetzes vom Dezember 1916 die Produktion völlig einstellen mussten. Die Firmenleitung wies die Obrigkeiten, allerdings ohne Erfolg, auf die langfristigen Gefahren solcher Zwangsmaßnahmen hin. Der "letzte Stamm der Arbeiter und Beamten" werde dadurch "aus einem Betrieb verstreut und demselben entfremdet"[05], so dass nach dem Krieg die Wiederaufnahme der Produktion unmöglich werde. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken und die Arbeiter weiter an sich zu binden, beteiligten sich Chemnitzer Textilunternehmen, wahrscheinlich auch Solbrig Söhne, finanziell an der Arbeitslosenunterstützung für Textilarbeiter.[06]
Nach dem Krieg erholten sich die Firmen nur langsam. Unter dem Druck der veränderten Marktbedingungen schlossen die beiden Harthauer Kammgarnspinnereien und die Wollindustrie AG 1921 den Ein- und Verkauf zusammen. Dem folgte 1927, im ertragreichsten Jahr der Zwischenkriegszeit, die Fusion der Sächsischen Kammgarnspinnerei (Werk I), der Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. (Werk II) und der Wollindustrie AG zur Aktiengesellschaft Vereinigte Kammgarnspinnereien, Harthau (Nr. 113).[07] Die Wollindustrie AG hatte in Harthau keine eigenen Produktionsstätten. Ihr Direktor, Heinrich Jahn, besaß aber die Majorität der Aktien an den beiden Harthauer Firmen und wurde nach der Fusion bis zu seinem Tod 1932 Direktor der Vereinigten Kammgarnspinnereien.
Wie die gesamte Chemnitzer Industrie, so wurde auch die Kammgarnspinnerei von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen. Die Vereinigte Kammgarnspinnereien AG stellte am 13. August 1931 ihre Zahlungen ein. Das Chemnitzer Amtsgericht eröffnete am 26. September das Vergleichsverfahren. Die Krise hielt lange an. Noch 1936 betrug die Auslastung der Produktionskapazität und der Beschäftigungsgrad nur etwa ein Drittel. Die Sanierung war erst im Frühjahr 1937 abgeschlossen. Allerdings litt man in dieser Zeit wieder an der Verknappung der Rohstoffe und ging zur Fertigung von mit Zellwolle gemischten Kammgarnen über.
Am 17. Juni 1937 beschloss die Generalversammlung der Vereinigten Kammgarnspinnereien AG die Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft. Max Vent, der seit Dezember 1929 im Betrieb war und nach Jahns Tod im September 1932 die Leitung übernommen hatte, wurde allein haftender Gesellschafter. Die Firmenbezeichnung lautete jetzt: Vereinigte Harthauer Kammgarnspinnereien Vent & Co. (Nr. 114).
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, im Dezember 1939, wurde die Produktion im Werk II eingestellt. Einen Teil der Beschäftigten übernahm das Werk I, 254 wurden entlassen. Das traditionsreiche vormalige Schäfersche Unternehmen nahm die Kammgarnspinnerei nie wieder auf. 1943 mietete sich hier die Kieler Werke AG ein, eine Werft, die zu dieser Zeit ausschließlich für die Kriegsmarine arbeitete. Ihr Harthauer Zweigbetrieb firmierte unter Gerätebau Harthau GmbH und wurde 1945 demontiert. Vom Dezember 1945 bis Juni 1946 waren die Gebäude von einer Einheit der Roten Armee besetzt, danach wurden sie bis 1992 von der Wismut genutzt.
Auch Gebäude des Werkes I in Harthau sowie von Solbrig Söhne in Chemnitz[08] mussten seit 1943 zwangsweise an Rüstungsproduzenten, an die Astra- und die Wanderer-Werke AG sowie an die Auto-Union AG vermietet werden. Hier ging aber die Spinnerei weiter. In Harthau stellte man Kammgarn für technische Filze, Kunstfaserbastgarne für Wehrmachtoberhemden und -unterhosen sowie für Zeltbahnen her. Auch die Produktion von Anzwirngarnen, Strumpf- und Handschuhgarnen erfolgte im Zusammenhang mit Wehrmachtsaufträgen.[09]
Arbeitskräfte wurden in der Kriegswirtschaft knapp. Die Harthauer Kammgarnspinnerei stellte am 15. Januar 1945 14 polnische Zwangsarbeiter, 9 Frauen und 5 Männer, ein. Sie wurden mit ihren 14 Kindern im Alter von vier bis vierzehn Jahren in der Harthauer Gaststätte Frenzel einquartiert. Bis zum 19. März 1945 starben sechs der Kinder, eins wurde geboren (Nr. 188).
Zum 1. Juli 1946 wurden die Vereinigten Kammgarnspinnereien Vent & Co., die Lugauer Kammgarnspinnerei vorm. F. Hey und Solbrig Söhne enteignet. Offiziell waren sie jetzt volkseigene Betriebe. Die alten Firmenbezeichnungen kommen aber noch oft vor. Im Juli 1946 wurden die drei Firmen in die Industrieverwaltung 39 - Spinnerei eingegliedert, später in die Industrieverwaltung Kammgarnspinnereien. Zum 1. Juli 1948 entstanden in der SBZ Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB). Die drei Kammgarnspinnereien wurden der VVB (Z) Kammgarn- und Streichgarnspinnereien mit Sitz in Gera angeschlossen, der im April 1950 32 Firmen angehörten. Sie verloren damit bis 1952 ihre Rechtsfähigkeit und wurden im Handelsregister gelöscht.
Zum 15. Juni 1952 wurden die VVB`s aufgelöst. Aus der Harthauer (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien Vent & C.) und der Chemnitzer Kammgarnspinnerei (vorm. Solbrig Söhne) wurde zum 16. Juni 1952 der VEB Chemnitzer Kammgarnspinnereien gebildet. Dieser hörte schon zum 31.12.1952 auf zu bestehen. Am 1. Januar 1953 entstand unter dem gleichen Namen (VEB Chemnitzer Kammgarnspinnereien) eine neue rechtsfähige Einheit mit den Teilbetrieben: Werk I (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien Vent & Co.), Werk II (vorm. Solbrig Söhne) und Werk III (vorm. Lugauer Kammgarnspinnerei). Infolge der Umbennung von Chemnitz erfolgte am 28. Mai 1953 die Namensänderung in VEB Kammgarnspinnereien Karl-Marx-Stadt. Im Jahr 1957 gliederte man das Werk II aus, dessen Gelände dem VEB Starkstromanlagenbau Karl-Marx-Stadt übergeben wurde.
Per 30.6.1971 endete die Rechtsfähigkeit der Karl-Marx-Städter Firma. Man gliederte sie dem VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei an. Dieser wurde 1990 in eine GmbH umgewandelt und schließlich 1993 liquidiert.[10]
Resumé: Industrielle Kammgarnspinnerei gab es in Chemnitz und Umgebung ca. anderthalb Jahrhunderte. Davon existierte der Namenspatron des Bestandes, der VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt, nur knapp zwei Jahrzehnte, von 1953 bis 1971. In ihn gingen letztlich folgende Ursprungsfirmen, zu verschiedenen Zeiten umgewandelt, fusioniert oder stillgelegt, ein: Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig (1841), Kammgarnspinnerei Solbrig Söhne (1863), Kammgarnspinnerei Drescher & Co. (um 1860), Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. (1886), Wollindustrie AG (1920).
2. Überblick Vorgänger und Nachfolger
1841: Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig, Chemnitz
1849: Verlagerung von C. F. Solbrig nach Harthau; Schließung des Chemnitzer Betriebes
um 1860: Kammgarnspinnerei Drescher & Co., Lugau
1863: Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig Söhne, Chemnitz
1871: Umwandlung in Sächsische Kammgarnspinnerei AG, Harthau
1883/84: Kammgarnspinnerei F. Hey, Lugau
1886: Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. KG, Harthau
1894: Umwandlung in Lugauer Kammgarnspinnerei AG
1905: Umwandlung in Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. AG, Harthau
1907: Umwandlung in Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig Söhne AG, Chemnitz
1920: Wollindustrie AG, Chemnitz
1927: Fusion: Vereinigte Kammgarnspinnereien AG, Harthau mit Werk I (Sächsische Kammgarnspinnerei) und Werk II (Schäfer)
1937: Umwandlung in Vereinigte Harthauer Kammgarnspinnereien KG, Vent & Co.
1939: Stilllegung des Werkes II (Schäfer)
1946: Enteignung: Eingliederung der Firmen in die Industrieverwaltung 39 - Spinnerei
1947: Eingliederung in die Industrieverwaltung Kammgarnspinnereien
1948: Eingliederung in die VVB (Z) Kammgarn- und Streichgarnspinnereien
1952: VEB Kammgarnspinnerei Chemnitz (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien und Solbrig Söhne), Lugau zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt
1953: VEB Kammgarnspinnerei Chemnitz (seit 28. Mai 1953 Karl-Marx-Stadt):
* Standort Harthau (seit 1950 nach Chemnitz eingemeindet) = Werk I,
* Standort Karl-Marx-Stadt = Werk II,
* Standort Lugau = Werk III
1957: Ausgliederung von Werk II
1971: Rechtsfähigkeit beendet, Rechtsnachfolger VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei
1990: Umwandlung in Glauchauer Kammgarnspinnerei GmbH
1993: Liquidation
3. Bestandsgeschichte und Bestandsanalyse
Das Archivgut des VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt wurde am 20. Dezember 1994 vom Treuhandbetrieb Glauchauer Kammgarnspinnerei GmbH i. L. unter der Zugangsnummer 102/94 in das Staatsarchiv Chemnitz übernommen. Der Bestand umfaßte 76 Bündel. Darin belassen wurden die Positionen 1 – 56 und 68, die Positionen 57 – 67 und 69 – 76 in die Bibliothek eingeordnet. Als Findhilfsmittel war eine Bündelliste mit kurzen Inhaltsangaben und dem zeitlichen Umfang beigegeben. Auf den Bündeln befanden sich Karteikarten mit den gleichen Angaben.
Über die Vorgeschichte des Bestandes ist nichts bekannt. Zuletzt lagerten die Akten im Sitz des Treuhandunternehmens in der Klaffenbacher Straße 45 des Chemnitzer Ortsteils Harthau, an jenem Platz also, von dem mit Gründung der Solbrigschen Firma im Jahr 1849 die entscheidenden Impulse für die Kammgarnspinnerei in der Chemnitzer Industrieregion ausgegangen waren. Durch die Zusammenschlüsse, Schließungen und wechselnden Zuordnungen gab es in der langen Geschichte der Kammgarnspinnereien immer wieder Umlagerungen und damit einhergehende Verluste.
In den Unterlagen der abgebenden Stelle wird der Bestand ausdrücklich als "Betriebsgeschichte/Historische Unterlagen" bezeichnet. Aufbewahrt und schließlich ins Staatsarchiv abgegebenen wurden offensichtlich nur Materialien, die den Bearbeitern in diesem Sinne tauglich erschienen. So blieben nur mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Reste übrig. Die meisten Akten kommen vom Standort Harthau, vor allem der Provenienz Sächsische Kammgarnspinnerei und Vereinigte Kammgarnspinnereien AG bzw. KG, weniger Schäfer. Ein knappes Viertel der Positionen entstammt der Lugauer Firma, einige wenige dem Chemnitzer Unternehmen Solbrig Söhne. Akten der Provenienz Wollindustrie AG sind nicht erhalten. Über diese Firma erfährt man nur etwas im Zusammenhang mit der Vereinigung von 1927. Der Informationsgehalt zum eigentlichen Bestandsbildner, dem VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt, ist gering.
Obwohl anhand des Bestandes kaum an eine geschlossene historische Darstellung der Kammgarnspinnerei in der Region bzw. der einzelnen Firmen zu denken ist, bietet er doch Bemerkenswertes für die historische Forschung. Für den Spezialisten ließen sich vor allem mit Hilfe der als Anlagen und Gebäude klassifizierten Akten detaillierte Einblicke in den Aufbau und die Funktionsweise von Kammgarnspinnereien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre gewinnen. Sozialgeschichtlich sind der Bau von Wohnungen und sanitären Anlagen, das Mädchenheim sowie die drei im Bestand befindlichen Strafenbücher von besonderem Interesse.
Im September/Oktober 2002 erfolgte im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung eine Bearbeitung des Bestandes durch Dr. Karlheinz Schaller. Mit Hilfe des Archivverzeichnungsprogrammes Augias 7.2. wurden die bündelmäßig erfassten Akten fortlaufend neu verzeichnet. Es erfolgte überwiegend eine einfache Verzeichnung. Enthaltene Drucksachen und 645 überlieferte Fotos wurde im Darin-Vermerk erfasst. Während der Verzeichnung erfolgte eine erste technische Bearbeitung, bei der die Akten aus den verschmutzen Ordnern und Heftern entnommen und in säurefreie Pallien und Kartons verpackt wurden. Sofern noch erhalten, wurde die innere Ordnung der Akten beibehalten. Die 342 ohne Aktenzusammenhang überlieferten Zeichnungen wurden in Zeichnungsmappen verpackt.
Eine Akte der Glauchauer Firma Kammgarnspinnerei Pflüger, Köhler & Co., ebenfalls ein Vorgängerbetrieb des VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei, wurde als Fremdprovenienz im Bestand belassen.
Nach der Bearbeitung, in deren Zusammenhang ca. 0,15 lfm Schriftgut kassiert wurden, umfasst der Bestand 273 Verzeichnungseinheiten im Umfang von 8,08 lfm. Im Zuge der Abwicklung des Unternehmens sind betriebliche Unterlagen unter der THA-Nr. 1913 an das DISOS-Landesdepot Sachsen gelangt. Die zwischenzeitlich vom Sächsischen Staatsarchiv als archivwürdig bewerteten Überlieferung von Lohnkonten ehemaliger Zwangsarbeiter wurde im Jahr 2017 im Auftrag der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben von der Rhenus Office Systems GmbH an das Staatsarchiv Chemnitz übergeben und als lfd. Nr. 274 dem Bestand hinzugefügt.
4. Quellen und Literatur
Dokumentation zur Geschichte der Kammgarnspinnerei Schaefer & Co., Commanditgesellschaft auf Actien, Manuskript, Chemnitz 1996
Rolf Kirchner, Entstehung und Entwicklung der Schafwollmaschinenspinnerei in Wolkenburg, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999, S. 80.
Karlheinz Schaller, Arbeitslosigkeit und Arbeitsverwaltung in Chemnitz von 1890 bis 1933, Chemnitz 1993
Birgit Schubert, Quellen zur Gemeinde Harthau im Stadtarchiv Chemnitz, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999
Von der Wolfsjägersiedlung zum Hightech Standort. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Altchemnitz und Umgebung, Chemnitz 2001
Staatsarchiv Chemnitz, VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt, Aktennummern 113, 114, 180, 188, 195, 224, 225, unp.
Stadtarchiv Chemnitz XXXVI, IV, Nr. 79, unp.
[01] Zu Harthau einige Hinweise in: Dokumentation zur Geschichte der Kammgarnspinnerei Schaefer & Co. Commanditgesellschaft auf Actien, Manuskript, Chemnitz 1996 (mit vielen Ungenauigkeiten) und Birgit Schubert, Quellen zur Gemeinde Harthau im Stadtarchiv Chemnitz, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999, S. 173; zu Chemnitz in: Von der Wolfsjägersiedlung zum Hightech Standort. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Altchemnitz und Umgebung, Chemnitz 2001, S. 34.
[02] Vgl. Rolf Kirchner, Entstehung und Entwicklung der Schafwollmaschinenspinnerei in Wolkenburg, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999, S. 80.
[03] Die Schreibweisen "Schäfer" und "Schaefer" wechseln in den Quellen. Wir haben uns für die erstere entschieden.
[04] In Lugau gab es vor dem Zweiten Weltkrieg noch die Kammgarnspinnerei Rudolph Fabius Söhne. Wir wissen nicht, ob und wann sie geschlossen wurde, oder ob evt. Firmenteile letztendlich auch in den VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt eingegangen sind.
[05] Stadtarchiv Chemnitz XXXVI, IV, Nr. 79, unp.
[06] Vgl. Karlheinz Schaller, Arbeitslosigkeit und Arbeitsverwaltung in Chemnitz von 1890 bis 1933, Chemnitz 1993, S. 40.
[07] Vgl. auch Dokumentation..., S. 44-49.
[08] Mit großer Wahrscheinlichkeit dienten auch Räume der Lugauer Kammgarnspinnerei der Rüstungsproduktion, wozu aber noch keine Quellen aufgefunden wurden.
[09] Vgl. Dokumentation...,S. 90.
[10] Die rechtlichen Veränderungen zu DDR-Zeiten nach Amtsgericht Chemnitz, HRC 12 und Register der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Registernummer 110-14-170.
Der VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt ging 1953 aus dem Zusammenschluss von Firmen hervor, die ihre Ursprünge in Harthau, Lugau und Chemnitz/Karl-Marx-Stadt hatten. Deren Geschichte ist bislang kaum erforscht.[01] Auslöser der Industrialisierung im Chemnitzer Raum war zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Baumwollspinnerei. Dagegen scheiterten Versuche, Fabriken zum Verspinnen von Schafwolle dauerhaft zu etablieren, zunächst. Selbst das große Unternehmen Detlev Carl Graf von Einsiedels in Wolkenburg musste Ende 1807 die Schafwollspinnerei aufgeben und sich auf die Baumwollverarbeitung umstellen.[02] In Chemnitz verspann wahrscheinlich als erste Fabrik in größerem Maßstab seit etwa 1830 die zunächst als Kattundruckerei und Baumwollspinnerei betriebene Firma Ackermann & Co. auch Schafwolle.
1841 trat C. F. Solbrig, den man wohl den Stammvater der Kammgarnspinnerei im Chemnitzer Industriegebiet nennen kann, in diese Firma ein und führte sie unter seinem Namen weiter. 1849 verkaufte er die Chemnitzer Fabrik und verlagerte die Produktion in die vormalige Bernhardsche Baumwollspinnerei im Vorort Harthau. Seither widmete sich Solbrig ausschließlich der Kammgarnspinnerei. Seine Harthauer Fabrik wandelte er 1871 in die Sächsische Kammgarnspinnerei AG um. Im Jahr 1863 erwarb Solbrig die 14 Jahre zuvor verkaufte Fabrik in Chemnitz zurück. Hier entstand die Kammgarnspinnerei Solbrig Söhne, die seit 1907 als Aktiengesellschaft firmierte. Der Direktor der Sächsischen Kammgarnspinnerei in Harthau, Paul Schäfer[03], schied 1885 aus, um eine eigene Fabrik aufzubauen. Deren Gründungsversammlung fand am 8. April 1886 statt. Die neue Firma, die Kammgarnspinnerei Schäfer & Co., KG, siedelte sich ebenfalls in Harthau an. 1905 wurde die Kommanditgesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Weit später, am 15. Juli 1920, wurde in Chemnitz die Wollindustrie Aktiengesellschaft gegründet. Sie verlegte 1921 ihren Firmensitz nach Köln und 1926 nach Harthau.
Noch unzureichender sind wir über die Anfänge der Kammgarnspinnerei in Lugau informiert. Wahrscheinlich um 1860, möglicherweise auch schon früher, entstand hier die Firma Drescher & Co. Sie nahm zunächst nicht die Größe der Solbrigschen Fabriken an. Von Bedeutung wurde, dass Drescher den Berliner Wollgroßhändler F. Hey belieferte. Dieser muss von dem Lugauer Standort beeindruckt gewesen sein, denn er kaufte im Dezember 1883 die Firma auf, führte sie unter seinem Namen fort und baute sie in großem Maßstab aus. 1894 wurde daraus die Lugauer Kammgarnspinnerei AG (Nr. 224, 225).[04]
Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren die besten für die Kammgarnspinnereien der Chemnitzer Industrieregion, obwohl auch einige Krisenjahre zu überstehen waren. In dieser Zeit entstanden zahlreiche neue Fabrik-, Neben- und Wohngebäude. Die Shedhallen der Firmen bestimmten das Bild der Gemeinden. Der Maschinenpark und die Fabrikanlagen wurden auf den modernsten Stand gebracht. Im Rekordjahr 1907 schüttete man bei Schäfer 15 Prozent Dividende aus. Die Fabriken waren eng mit den Weltmärkten verflochten. Die Rohwolle kam aus allen Schafzuchtgebieten der Erde, von Island und Irland, über Südamerika bis nach Australien und Neuseeland. Über den Absatz wissen wir bislang kaum etwas. Er wird sich wohl auf das Inland und einige europäische Nachbarländer beschränkt haben.
Die Arbeiterschaft rekrutierte sich in der Hauptsache aus den jeweiligen Gemeinden und den Nachbarorten sowie aus den Nahwandergebieten des überbevölkerten sächsischen und böhmischen Erzgebirges. Zeitweise konnte dadurch allein der Arbeitskräftebedarf nicht gedeckt werden, so dass 1896/97 die Sächsische Kammgarnspinnerei Arbeitskräfte über eine Arbeitsvermittlung im schlesischen Landsberg anwerben ließ (Nr. 195). Um aus der Fernwanderung kommende jugendliche Arbeiterinnen unterzubringen, errichtete man ein Mädchenheim. In Harthau, Lugau und Chemnitz gab es um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine starke Arbeiterbewegung. In den Kammgarnspinnereien mit ihrer überwiegend aus Frauen bestehenden Belegschaft spürt man davon nichts. Die erhalten gebliebenen Strafenbücher (Nr. 180 und Nr. 218) dokumentieren aber im Fabrikalltag einen ständigen Kleinkrieg zwischen den männlichen Vorgesetzten und den Arbeiterinnen.
Der Erste Weltkrieg traf die Kammgarnspinnereien und deren Belegschaften hart. Während im Chemnitzer Maschinenbau von 1915 bis 1918 Arbeitskräftemangel herrschte, kam es in der Textilindustrie zu einem enormen Überschuss, obwohl viele Spinnerinnen in die Metallbranche wechselten. Die Arbeitslosigkeit der Textilarbeiterschaft in Chemnitz lag während des Krieges bei durchschnittlich ca. 6.000 Personen. In der Sächsischen Kammgarnspinnerei arbeitete ein Jahr nach Kriegsbeginn nur noch ein Drittel der Spinnmaschinen. Schäfer produzierte von 1914 bis 1917 im Auftrag der Heeresverwaltung farbige Garne zur Herstellung von Uniformen, wurde aber für das gesamte letzte Kriegsjahr zwangsweise stillgelegt. Die Solbrig Söhne AG gehörte zu den 8 großen Spinnereien im Chemnitzer Industriegebiet, die infolge des Hilfsdienstgesetzes vom Dezember 1916 die Produktion völlig einstellen mussten. Die Firmenleitung wies die Obrigkeiten, allerdings ohne Erfolg, auf die langfristigen Gefahren solcher Zwangsmaßnahmen hin. Der "letzte Stamm der Arbeiter und Beamten" werde dadurch "aus einem Betrieb verstreut und demselben entfremdet"[05], so dass nach dem Krieg die Wiederaufnahme der Produktion unmöglich werde. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken und die Arbeiter weiter an sich zu binden, beteiligten sich Chemnitzer Textilunternehmen, wahrscheinlich auch Solbrig Söhne, finanziell an der Arbeitslosenunterstützung für Textilarbeiter.[06]
Nach dem Krieg erholten sich die Firmen nur langsam. Unter dem Druck der veränderten Marktbedingungen schlossen die beiden Harthauer Kammgarnspinnereien und die Wollindustrie AG 1921 den Ein- und Verkauf zusammen. Dem folgte 1927, im ertragreichsten Jahr der Zwischenkriegszeit, die Fusion der Sächsischen Kammgarnspinnerei (Werk I), der Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. (Werk II) und der Wollindustrie AG zur Aktiengesellschaft Vereinigte Kammgarnspinnereien, Harthau (Nr. 113).[07] Die Wollindustrie AG hatte in Harthau keine eigenen Produktionsstätten. Ihr Direktor, Heinrich Jahn, besaß aber die Majorität der Aktien an den beiden Harthauer Firmen und wurde nach der Fusion bis zu seinem Tod 1932 Direktor der Vereinigten Kammgarnspinnereien.
Wie die gesamte Chemnitzer Industrie, so wurde auch die Kammgarnspinnerei von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen. Die Vereinigte Kammgarnspinnereien AG stellte am 13. August 1931 ihre Zahlungen ein. Das Chemnitzer Amtsgericht eröffnete am 26. September das Vergleichsverfahren. Die Krise hielt lange an. Noch 1936 betrug die Auslastung der Produktionskapazität und der Beschäftigungsgrad nur etwa ein Drittel. Die Sanierung war erst im Frühjahr 1937 abgeschlossen. Allerdings litt man in dieser Zeit wieder an der Verknappung der Rohstoffe und ging zur Fertigung von mit Zellwolle gemischten Kammgarnen über.
Am 17. Juni 1937 beschloss die Generalversammlung der Vereinigten Kammgarnspinnereien AG die Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft. Max Vent, der seit Dezember 1929 im Betrieb war und nach Jahns Tod im September 1932 die Leitung übernommen hatte, wurde allein haftender Gesellschafter. Die Firmenbezeichnung lautete jetzt: Vereinigte Harthauer Kammgarnspinnereien Vent & Co. (Nr. 114).
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, im Dezember 1939, wurde die Produktion im Werk II eingestellt. Einen Teil der Beschäftigten übernahm das Werk I, 254 wurden entlassen. Das traditionsreiche vormalige Schäfersche Unternehmen nahm die Kammgarnspinnerei nie wieder auf. 1943 mietete sich hier die Kieler Werke AG ein, eine Werft, die zu dieser Zeit ausschließlich für die Kriegsmarine arbeitete. Ihr Harthauer Zweigbetrieb firmierte unter Gerätebau Harthau GmbH und wurde 1945 demontiert. Vom Dezember 1945 bis Juni 1946 waren die Gebäude von einer Einheit der Roten Armee besetzt, danach wurden sie bis 1992 von der Wismut genutzt.
Auch Gebäude des Werkes I in Harthau sowie von Solbrig Söhne in Chemnitz[08] mussten seit 1943 zwangsweise an Rüstungsproduzenten, an die Astra- und die Wanderer-Werke AG sowie an die Auto-Union AG vermietet werden. Hier ging aber die Spinnerei weiter. In Harthau stellte man Kammgarn für technische Filze, Kunstfaserbastgarne für Wehrmachtoberhemden und -unterhosen sowie für Zeltbahnen her. Auch die Produktion von Anzwirngarnen, Strumpf- und Handschuhgarnen erfolgte im Zusammenhang mit Wehrmachtsaufträgen.[09]
Arbeitskräfte wurden in der Kriegswirtschaft knapp. Die Harthauer Kammgarnspinnerei stellte am 15. Januar 1945 14 polnische Zwangsarbeiter, 9 Frauen und 5 Männer, ein. Sie wurden mit ihren 14 Kindern im Alter von vier bis vierzehn Jahren in der Harthauer Gaststätte Frenzel einquartiert. Bis zum 19. März 1945 starben sechs der Kinder, eins wurde geboren (Nr. 188).
Zum 1. Juli 1946 wurden die Vereinigten Kammgarnspinnereien Vent & Co., die Lugauer Kammgarnspinnerei vorm. F. Hey und Solbrig Söhne enteignet. Offiziell waren sie jetzt volkseigene Betriebe. Die alten Firmenbezeichnungen kommen aber noch oft vor. Im Juli 1946 wurden die drei Firmen in die Industrieverwaltung 39 - Spinnerei eingegliedert, später in die Industrieverwaltung Kammgarnspinnereien. Zum 1. Juli 1948 entstanden in der SBZ Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB). Die drei Kammgarnspinnereien wurden der VVB (Z) Kammgarn- und Streichgarnspinnereien mit Sitz in Gera angeschlossen, der im April 1950 32 Firmen angehörten. Sie verloren damit bis 1952 ihre Rechtsfähigkeit und wurden im Handelsregister gelöscht.
Zum 15. Juni 1952 wurden die VVB`s aufgelöst. Aus der Harthauer (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien Vent & C.) und der Chemnitzer Kammgarnspinnerei (vorm. Solbrig Söhne) wurde zum 16. Juni 1952 der VEB Chemnitzer Kammgarnspinnereien gebildet. Dieser hörte schon zum 31.12.1952 auf zu bestehen. Am 1. Januar 1953 entstand unter dem gleichen Namen (VEB Chemnitzer Kammgarnspinnereien) eine neue rechtsfähige Einheit mit den Teilbetrieben: Werk I (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien Vent & Co.), Werk II (vorm. Solbrig Söhne) und Werk III (vorm. Lugauer Kammgarnspinnerei). Infolge der Umbennung von Chemnitz erfolgte am 28. Mai 1953 die Namensänderung in VEB Kammgarnspinnereien Karl-Marx-Stadt. Im Jahr 1957 gliederte man das Werk II aus, dessen Gelände dem VEB Starkstromanlagenbau Karl-Marx-Stadt übergeben wurde.
Per 30.6.1971 endete die Rechtsfähigkeit der Karl-Marx-Städter Firma. Man gliederte sie dem VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei an. Dieser wurde 1990 in eine GmbH umgewandelt und schließlich 1993 liquidiert.[10]
Resumé: Industrielle Kammgarnspinnerei gab es in Chemnitz und Umgebung ca. anderthalb Jahrhunderte. Davon existierte der Namenspatron des Bestandes, der VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt, nur knapp zwei Jahrzehnte, von 1953 bis 1971. In ihn gingen letztlich folgende Ursprungsfirmen, zu verschiedenen Zeiten umgewandelt, fusioniert oder stillgelegt, ein: Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig (1841), Kammgarnspinnerei Solbrig Söhne (1863), Kammgarnspinnerei Drescher & Co. (um 1860), Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. (1886), Wollindustrie AG (1920).
2. Überblick Vorgänger und Nachfolger
1841: Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig, Chemnitz
1849: Verlagerung von C. F. Solbrig nach Harthau; Schließung des Chemnitzer Betriebes
um 1860: Kammgarnspinnerei Drescher & Co., Lugau
1863: Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig Söhne, Chemnitz
1871: Umwandlung in Sächsische Kammgarnspinnerei AG, Harthau
1883/84: Kammgarnspinnerei F. Hey, Lugau
1886: Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. KG, Harthau
1894: Umwandlung in Lugauer Kammgarnspinnerei AG
1905: Umwandlung in Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. AG, Harthau
1907: Umwandlung in Kammgarnspinnerei C. F. Solbrig Söhne AG, Chemnitz
1920: Wollindustrie AG, Chemnitz
1927: Fusion: Vereinigte Kammgarnspinnereien AG, Harthau mit Werk I (Sächsische Kammgarnspinnerei) und Werk II (Schäfer)
1937: Umwandlung in Vereinigte Harthauer Kammgarnspinnereien KG, Vent & Co.
1939: Stilllegung des Werkes II (Schäfer)
1946: Enteignung: Eingliederung der Firmen in die Industrieverwaltung 39 - Spinnerei
1947: Eingliederung in die Industrieverwaltung Kammgarnspinnereien
1948: Eingliederung in die VVB (Z) Kammgarn- und Streichgarnspinnereien
1952: VEB Kammgarnspinnerei Chemnitz (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien und Solbrig Söhne), Lugau zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt
1953: VEB Kammgarnspinnerei Chemnitz (seit 28. Mai 1953 Karl-Marx-Stadt):
* Standort Harthau (seit 1950 nach Chemnitz eingemeindet) = Werk I,
* Standort Karl-Marx-Stadt = Werk II,
* Standort Lugau = Werk III
1957: Ausgliederung von Werk II
1971: Rechtsfähigkeit beendet, Rechtsnachfolger VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei
1990: Umwandlung in Glauchauer Kammgarnspinnerei GmbH
1993: Liquidation
3. Bestandsgeschichte und Bestandsanalyse
Das Archivgut des VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt wurde am 20. Dezember 1994 vom Treuhandbetrieb Glauchauer Kammgarnspinnerei GmbH i. L. unter der Zugangsnummer 102/94 in das Staatsarchiv Chemnitz übernommen. Der Bestand umfaßte 76 Bündel. Darin belassen wurden die Positionen 1 – 56 und 68, die Positionen 57 – 67 und 69 – 76 in die Bibliothek eingeordnet. Als Findhilfsmittel war eine Bündelliste mit kurzen Inhaltsangaben und dem zeitlichen Umfang beigegeben. Auf den Bündeln befanden sich Karteikarten mit den gleichen Angaben.
Über die Vorgeschichte des Bestandes ist nichts bekannt. Zuletzt lagerten die Akten im Sitz des Treuhandunternehmens in der Klaffenbacher Straße 45 des Chemnitzer Ortsteils Harthau, an jenem Platz also, von dem mit Gründung der Solbrigschen Firma im Jahr 1849 die entscheidenden Impulse für die Kammgarnspinnerei in der Chemnitzer Industrieregion ausgegangen waren. Durch die Zusammenschlüsse, Schließungen und wechselnden Zuordnungen gab es in der langen Geschichte der Kammgarnspinnereien immer wieder Umlagerungen und damit einhergehende Verluste.
In den Unterlagen der abgebenden Stelle wird der Bestand ausdrücklich als "Betriebsgeschichte/Historische Unterlagen" bezeichnet. Aufbewahrt und schließlich ins Staatsarchiv abgegebenen wurden offensichtlich nur Materialien, die den Bearbeitern in diesem Sinne tauglich erschienen. So blieben nur mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Reste übrig. Die meisten Akten kommen vom Standort Harthau, vor allem der Provenienz Sächsische Kammgarnspinnerei und Vereinigte Kammgarnspinnereien AG bzw. KG, weniger Schäfer. Ein knappes Viertel der Positionen entstammt der Lugauer Firma, einige wenige dem Chemnitzer Unternehmen Solbrig Söhne. Akten der Provenienz Wollindustrie AG sind nicht erhalten. Über diese Firma erfährt man nur etwas im Zusammenhang mit der Vereinigung von 1927. Der Informationsgehalt zum eigentlichen Bestandsbildner, dem VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt, ist gering.
Obwohl anhand des Bestandes kaum an eine geschlossene historische Darstellung der Kammgarnspinnerei in der Region bzw. der einzelnen Firmen zu denken ist, bietet er doch Bemerkenswertes für die historische Forschung. Für den Spezialisten ließen sich vor allem mit Hilfe der als Anlagen und Gebäude klassifizierten Akten detaillierte Einblicke in den Aufbau und die Funktionsweise von Kammgarnspinnereien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre gewinnen. Sozialgeschichtlich sind der Bau von Wohnungen und sanitären Anlagen, das Mädchenheim sowie die drei im Bestand befindlichen Strafenbücher von besonderem Interesse.
Im September/Oktober 2002 erfolgte im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung eine Bearbeitung des Bestandes durch Dr. Karlheinz Schaller. Mit Hilfe des Archivverzeichnungsprogrammes Augias 7.2. wurden die bündelmäßig erfassten Akten fortlaufend neu verzeichnet. Es erfolgte überwiegend eine einfache Verzeichnung. Enthaltene Drucksachen und 645 überlieferte Fotos wurde im Darin-Vermerk erfasst. Während der Verzeichnung erfolgte eine erste technische Bearbeitung, bei der die Akten aus den verschmutzen Ordnern und Heftern entnommen und in säurefreie Pallien und Kartons verpackt wurden. Sofern noch erhalten, wurde die innere Ordnung der Akten beibehalten. Die 342 ohne Aktenzusammenhang überlieferten Zeichnungen wurden in Zeichnungsmappen verpackt.
Eine Akte der Glauchauer Firma Kammgarnspinnerei Pflüger, Köhler & Co., ebenfalls ein Vorgängerbetrieb des VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei, wurde als Fremdprovenienz im Bestand belassen.
Nach der Bearbeitung, in deren Zusammenhang ca. 0,15 lfm Schriftgut kassiert wurden, umfasst der Bestand 273 Verzeichnungseinheiten im Umfang von 8,08 lfm. Im Zuge der Abwicklung des Unternehmens sind betriebliche Unterlagen unter der THA-Nr. 1913 an das DISOS-Landesdepot Sachsen gelangt. Die zwischenzeitlich vom Sächsischen Staatsarchiv als archivwürdig bewerteten Überlieferung von Lohnkonten ehemaliger Zwangsarbeiter wurde im Jahr 2017 im Auftrag der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben von der Rhenus Office Systems GmbH an das Staatsarchiv Chemnitz übergeben und als lfd. Nr. 274 dem Bestand hinzugefügt.
4. Quellen und Literatur
Dokumentation zur Geschichte der Kammgarnspinnerei Schaefer & Co., Commanditgesellschaft auf Actien, Manuskript, Chemnitz 1996
Rolf Kirchner, Entstehung und Entwicklung der Schafwollmaschinenspinnerei in Wolkenburg, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999, S. 80.
Karlheinz Schaller, Arbeitslosigkeit und Arbeitsverwaltung in Chemnitz von 1890 bis 1933, Chemnitz 1993
Birgit Schubert, Quellen zur Gemeinde Harthau im Stadtarchiv Chemnitz, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999
Von der Wolfsjägersiedlung zum Hightech Standort. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Altchemnitz und Umgebung, Chemnitz 2001
Staatsarchiv Chemnitz, VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt, Aktennummern 113, 114, 180, 188, 195, 224, 225, unp.
Stadtarchiv Chemnitz XXXVI, IV, Nr. 79, unp.
[01] Zu Harthau einige Hinweise in: Dokumentation zur Geschichte der Kammgarnspinnerei Schaefer & Co. Commanditgesellschaft auf Actien, Manuskript, Chemnitz 1996 (mit vielen Ungenauigkeiten) und Birgit Schubert, Quellen zur Gemeinde Harthau im Stadtarchiv Chemnitz, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999, S. 173; zu Chemnitz in: Von der Wolfsjägersiedlung zum Hightech Standort. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Altchemnitz und Umgebung, Chemnitz 2001, S. 34.
[02] Vgl. Rolf Kirchner, Entstehung und Entwicklung der Schafwollmaschinenspinnerei in Wolkenburg, in: 200 Jahre erste Baumwollmaschinenspinnerei in Sachsen (= Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 69. Neue Folge VIII), Chemnitz 1999, S. 80.
[03] Die Schreibweisen "Schäfer" und "Schaefer" wechseln in den Quellen. Wir haben uns für die erstere entschieden.
[04] In Lugau gab es vor dem Zweiten Weltkrieg noch die Kammgarnspinnerei Rudolph Fabius Söhne. Wir wissen nicht, ob und wann sie geschlossen wurde, oder ob evt. Firmenteile letztendlich auch in den VEB Kammgarnspinnerei Karl-Marx-Stadt eingegangen sind.
[05] Stadtarchiv Chemnitz XXXVI, IV, Nr. 79, unp.
[06] Vgl. Karlheinz Schaller, Arbeitslosigkeit und Arbeitsverwaltung in Chemnitz von 1890 bis 1933, Chemnitz 1993, S. 40.
[07] Vgl. auch Dokumentation..., S. 44-49.
[08] Mit großer Wahrscheinlichkeit dienten auch Räume der Lugauer Kammgarnspinnerei der Rüstungsproduktion, wozu aber noch keine Quellen aufgefunden wurden.
[09] Vgl. Dokumentation...,S. 90.
[10] Die rechtlichen Veränderungen zu DDR-Zeiten nach Amtsgericht Chemnitz, HRC 12 und Register der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Registernummer 110-14-170.
Unterlagen der Firmen an den Standorten Harthau, Chemnitz/Karl-Marx-Stadt und Lugau zu den Schwerpunkten: Firmenleitung.- Buchhaltung.- Produktion, Maschinen und Betriebsmittel.- Arbeitskräfte und soziale Einrichtungen.- Strafenbücher.- Gebäude.- Anlagen.- Rechtsangelegenheiten.- Vermögenswerte.
Zum 1. Juli 1946 wurden die Vereinigten Kammgarnspinnereien Vent & Co. in Harthau, die Lugauer Kammgarnspinnerei vorm. F. Hey AG in Lugau und C. F. Solbrig Söhne AG in Chemnitz enteignet. Aus der Harthauer und der Chemnitzer Kammgarnspinnerei wurde zum 16. Juni 1952 der VEB Chemnitzer Kammgarnspinnereien gebildet. Dieser hörte schon zum 31. Dezember 1952 auf zu bestehen. Am 1. Januar 1953 entstand unter dem gleichen Namen (VEB Chemnitzer Kammgarnspinnereien) eine neue rechtsfähige Einheit mit den Teilbetrieben: Werk I (vorm. Vereinigte Kammgarnspinnereien Vent & Co.), Werk II (vorm. Solbrig Söhne) und Werk III (vorm. Lugauer Kammgarnspinnerei). Infolge der Umbennung von Chemnitz erfolgte am 28. Mai 1953 die Namensänderung in VEB Kammgarnspinnereien Karl-Marx-Stadt. Im Jahr 1957 gliederte man das Werk II aus. Zum 30. Juni 1971 endete die Rechtsfähigkeit der Karl-Marx-Städter Firma. Man gliederte sie dem VEB Glauchauer Kammgarnspinnerei an. Dieser wurde 1990 in eine GmbH umgewandelt und schließlich 1993 liquidiert.
Der Bestand enthält Unterlagen folgender Provenienzen: C. F. Solbrig Söhne AG, Chemnitz.- Vereinigte Harthauer Kammgarnspinnereien KG, Vent & Co..- Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. AG, Harthau.- VEB Kammgarnspinnerei Harthau später Chemnitz/Karl-Marx-Stadt.- Lugauer Kammgarnspinnerei AG.- VEB Lugauer Kammgarnspinnerei.
Bis 2021 trug der Bestand den Namen: VEB Kammgarnspinnereien Karl-Marx-Stadt und Vorgänger.
Der Bestand enthält Unterlagen folgender Provenienzen: C. F. Solbrig Söhne AG, Chemnitz.- Vereinigte Harthauer Kammgarnspinnereien KG, Vent & Co..- Kammgarnspinnerei Schäfer & Co. AG, Harthau.- VEB Kammgarnspinnerei Harthau später Chemnitz/Karl-Marx-Stadt.- Lugauer Kammgarnspinnerei AG.- VEB Lugauer Kammgarnspinnerei.
Bis 2021 trug der Bestand den Namen: VEB Kammgarnspinnereien Karl-Marx-Stadt und Vorgänger.
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