Beständeübersicht
Bestand
50062 Amtsgericht Reichenau
| Datierung | |
|---|---|
| Benutzung im | Staatsfilialarchiv Bautzen |
| Umfang (nur lfm) |
1. Geschichte des Amtsgerichtes Reichenau
Das Amtsgericht Reichenau wurde im Rahmen des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Ja-nuar 1877, welches die Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung im Deutschen Kaiserreich zum Ziel hatte, als Eingangsgericht eingerichtet. In Sachsen trat das Gesetz gemäß der Ver-ordnung Nr. 62 zum 1. Oktober 1979 in Kraft.
Das Amtsgericht Reichenau löste damit das Gerichtsamt Reichenau in seinen Zuständigkeiten ab. Weitere Vorgängerbehörden waren das von 1853-1856 bestehende Königliche Gericht Reichenau, sowie die Patrimonalgerichte der Standesherrschaft Reibersdorf-Seidenberg und des Klosters Marienthal.
Das Amtsgericht Reichenau war zugehörig zum Bezirk des Landgerichtes Bautzen. Die zu-ständige Kammer für Handelssachen, sowie eine Strafkammer waren beim Amtsgericht Zittau angesiedelt. [01] Zum territorialen Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichtes Reichenau gehörten die Gemeinden:
Reichenau (heute Bogatynia, Polen), 1904: Vereinigung von Reichenau-Klösterlicher Anteil" und "Reichenau-Zittauer-Anteil"
Dornhennersdorf (heute Strzegomice, Polen)
Friedersdorf (ehemalig Biedrzychowice Górne, Polen)
Friedreich (zu Weigsdorf, heute Wolanów, Polen)
Gießmannsdorf (ehemalig Gosciszów, Polen)
Lichtenberg (heute Jasna Góra, Polen)
Markersdorf (heute Markocice, Polen)
Maxdorf (zu Weigsdorf, heute Wyszków, Polen)
Mittelweigsdorf (ehemalig Wigancice Zytawskie, Polen), ab 1923 Weigsdorf
Neugersdorf (zu Weigsdorf, heute Wyszków, Polen)
Oberweigsdorf (ehemalig Wigancice Zytawskie, Polen), ab 1923 Weigsdorf
Oppelsdorf (heute Opolno Zdrój, Polen)
Reibersdorf (ehemalig Rybarzowice, Polen)
Sommerau (heute Biapopole, Polen)
Türchau (heute Turoszów, Stadtteil von Bogotynia, Polen)
Wald (zu Reibersdorf, heute Opolno Zdrój, Polen)
Zittel (ehemalig Pasternik, Polen) [02]
1880 war das Amtsgericht Reichenau mit einer Richterstelle für 13.456 Einwohner zuständig und damit das achtkleinste Amtsgericht im Landgerichtsbezirk. [03] Zu seinen Zuständig-keitsbereichen gehörten die freiwillige Gerichtsbarkeit, die Zivilgerichtsbarkeit und Teile der Strafgerichtsbarkeit. Verwaltungsbefugnisse waren bereits während der Zeit des Gerichtsam-tes 1874 auf die neu gegründete Amtshauptmannschaft Zittau übergegangen.
Mit der Verordnung Nr. 21 wurde das Amtsgericht Reichenau zum 30. Juni 1883 wieder aufgelöst und sein Sprengel dem Amtsgericht Zittau zugewiesen. Dennoch wurde 1890 ein neues Amtsgerichtsgebäude mit dem Gerichtsgefängnis errichtet, heutige Adresse Daszynskiego 29, ein zweigeschossiger Backsteinbau. [04]
Das Amtsgericht Reichenau selbst wurde zum 1. Juli 1898 mit der Verordnung Nr. 19 erneut eingerichtet, wobei die Gemeinden Friedersdorf, Sommerau und Zittel in der Zuständigkeit des Amtsgerichtes Zittau verblieben. [05] Für den Übergangszeitraum blieb das Amtsgericht Zittau zudem für die Vollstreckung bereits angetretener Freiheitsstrafen verantwortlich.
Amtsrichter waren nach den Sächsischen Staatshandbüchern und den Adressbüchern von Reichenau, wobei im Folgenden immer das frühste und das letzte Datum der belegten Amtszeit aufgeführt ist:
1880: Amtsrichter Dr. Erich Willibald Krenkel
1882: Amtsrichter Franz Richard Müller
1899-1903 Amtsrichter Feodor Max Neumann
1905-1921: Amtsrichter Robert Hugo August Bierling
1925-1926: Amtsrichter Karl Otto Kriegel
1927-1931: Amtsrichter Dr. Karl Kemnitzer
1934-1938: Amtsrichter Otto Poite
Ein Grundbuchführer ist erst mit der Wiedereinrichtung 1899 belegt, wahrscheinlich wurden die Grundbücher zuvor vom Gerichtsschreiber geführt. Von 1902 bis 1905 war die Stelle mit der des Rechnungsstellenführers zusammengelegt.
Während der NS-Diktatur von 1933-1945 wurden durch das NS-Regime Ausnahme- und Sondergerichte eingerichtet. Zu nennen ist hierbei die 1933 erfolgte Errichtung eines Anerbengerichtes am Amtsgericht Reichenau, welches auf Grundlage des Reichserbhofgesetzes als Ausdruck der Blut- und- Boden-Ideologie die Unteilbarkeit der Erbhöfe gewährleisten sollte. Das Anerbengericht entschied in Erbhofstreitigkeiten und führte die Erbhöferolle. Zusätzlich zu dem vorsitzenden Richter wurden bäuerliche Laienrichter berufen. [06]
Ebenfalls bedeutsam sind die mit dem "Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Entschuldungsverhältnisse" begründeten Entschuldungsgerichte, welche über Entschuldungsver-fahren von landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieben entschieden. [07] 1935 wurden die Entschuldungsgerichte durch die Entschuldungsämter ersetzt. Das für den Amtsgerichtsbezirk Reichenau zuständige Entschuldungsamt war am Amtsgericht Zittau eingerichtet, für Beschwerden gegen die Beschlüsse war das Landgericht Dresden ver-antwortlich. [08]
1945 wurde der Amtsgerichtsbezirk unter polnische Verwaltung gestellt, womit seine Zuständigkeit endgültig erlosch. Noch schwebende Verfahren wurden in der Folge vom Amtsgericht Zittau übernommen und dort abgeschlossen.
2. Bestandsgeschichte
Der Bestand 50062 Amtsgericht Reichenau wurde 1960 erstmals von Anneliese Schmidt verzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt setzte er sich vor allem aus den 1933, 1939 und 1940 vom Amtsgericht Reichenau an das damalige Landeshauptarchiv Dresden abgegebene Archivalien zusammen, sowie einer weiteren Abgabe von 1953. Im Rahmen ihrer Verzeichnung fertigte Anneliese Schmidt eine Findmittelkartei an. Von den Abgaben 1933, 1939 und 1940 sind zudem Abgabelisten vorhanden, aus denen hervorgeht, dass die damals übernommenen Archivalien überwiegend den Vorprovenienzen des Amtsgerichtes Reichenau zuzuordnen sind, die bei späteren Bestandsbereinigungen insbesondere in den Bestand 50421 Standesherrschaft Reibersdorf-Seidenberg eingegliedert wurden.
Mit der Auflösung des Amtsgerichtsbezirkes 1945 gelangte eine große Anzahl der Unterlagen in das Staatarchiv in Breslau, Zweigstelle Bunzlau, wo sie sich noch heute befinden. Weitere Unterlagen kamen zum Amtsgericht Zittau, etwa Testamente, welche 1951 an das Amtsgericht Berlin-Mitte als zentrales Nachlassgericht übergeben wurden.
Die Findmittelkartei wurde 1963 von F. Bergan, 1965 von D. Niepraschk und 1967 von D. Pech ergänzt, auch aufgrund zweier weiterer Abgaben von 1965 und 1966, die wahrscheinlich auch die mittlerweile geschlossenen Grundbuchabschriften erhielten.
Ein weiterer Zugang erfolgte 2002 vom Amtsgericht Zittau, der insbesondere Unterlagen des Anerbengerichts, sowie der Amtsgerichtsverwaltung, der Genossenschaftsregisterakten und Register enthielt. 2004 erfolgte eine Abgabe von 2,1 lfm. und 2012 von 0,01 lfm. durch das Hauptstaatsarchiv Dresden. Die Abgabe von 2012 wurde mittels Findmittelliste durch Anja Moschke erschlossen. Die letzte Abgabe im Umfang von 0,01 lfm. erfolgte 2021 durch das Bundesarchiv.
2025 wurde der Bestand als Probebestand im Rahmen des Vorbereitungsdienstes von der Anwärterin Deborah Rohne mittels AUGIAS 9.2 erschlossen. Zum Bestand gehörten 6,3 lfm., die bereits einfach erschlossen waren und 2,1 noch unerschlossene lfm. Bei der Bearbeitung wurde sowohl eine Revision der bestehenden Findkartei als auch eine vertiefte Erschließung mittels Enthält-Vermerken von bereits einfach erschlossenen Archivguteinheiten, späteren unverzeichneten Zugängen, sowie den Vorakten durchgeführt.
Folgende Angaben wurden bei der Verzeichnung aufgenommen:
Alte Archivsignatur(en)
Bandangabe
Bemerkung
Bestandssignatur
Bestellnummer
Datierung
Enthält-Vermerk
Darin-Vermerk
Provenienz
Titel
Schadensklasse
Sperrvermerk
Strukturteil
Umfang
Registratursignatur
Für eine Vormundschaftsakte wurden zudem folgende zusätzliche Angaben aufgenommen:
Aktentyp
Geburtsdatum
Geschlecht
Name
Die teilweise bereits virtuell getrennten Vorakten, sowie die Fremdprovenienzen wurden organisch ausgelagert und in einem gesonderten Klassifikationspunkt verzeichnet, um diese zu einem späteren Zeitpunkt mit ihren Provenienzen zusammenführen zu können.
Im Rahmen der Verzeichnung erfolgte eine technische Bearbeitung, bei der die Unterlagen entmetallisiert und bei Bedarf in Dreiklappmappen verpackt wurden. Alle Archivalien sind verpackt.
Der Bestand hat nunmehr einen Umfang von 5,4 lfm, hinzu kommen 2,6 lfm Vorakten und Fremdprovenienz.
3. Bestandsinhalt
Der Bestand des Amtsgerichtes Reichenau umfasst Unterlagen zur Verwaltung des Amtsgerichtes, zur Strafgerichtsbarkeit, der Zivilgerichtsbarkeit und der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie dem Anerbengericht. Aus den zentralen Zuständigkeiten der Strafgerichtsbarkeit und der Zivilgerichtsbarkeit haben sich nur wenige Register erhalten, die übrigen Unterlagen müssen als Kriegsverlust gelten oder liegen im Staatsarchiv in Breslau, Zweigstelle Bunzlau. Die größte Überlieferung bilden damit Unterlagen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, hierbei überwiegen das Grundbuchamt und Registerakten.
Ein Schwerpunkt liegt auf den Unterlagen des Grundbuchamtes, Grundbuchabschriften sind ab 1937 für Reichenau, Reibersdorf, Friedersdorf, Weigsdorf im großen Umfang und im ge-ringeren für Türchau, Gießmannsdorf, Dornhennersdorf, Markersdorf, Oppelsdorf und Lichtenberg überliefert. Die Grundbuchabschriften umfassen jedoch nur die letzten Eintragungen und Löschungen vor 1937 und wurden im Anschluss fortgeführt, nach 1945 wurde die überwiegende Mehrzahl geschlossen. Nachträge durch das Amtsgericht Zittau sind selten festzustellen.
Die zweite große Überlieferung des Grundbuchamtes sind die Grundstücksblätter der Grund- und Hypothekenbücher von Sommerau, Dornhennersdorf, Weigsdorf, Bad Oppelsdorf, Reibersdorf, Reichenau und Friedersdorf, die mit detaillierten Informationen zum Bestand, Ei-gentümern, Rechten und Belastungen hervorragende Quellen für die Baugeschichte im Amts-gerichtsbezirk Reichenau, sowie für die Familienforschung bieten. Die Laufzeit geht von 1847-1950.
Weitere zumeist kurze Vorgänge überliefern Veränderungsanbringen wie Disembrationen und Zergliederungen zu verschiedenen Grundstücken. Verwaltungsunterlagen über die Verwaltung und die Struktur des Grundbuchamtes sind nicht überliefert.
Einen weiteren Überlieferungsschwerpunkt bilden die Registerakten zum Vereinsregister, Genossenschaftsregister, Handelsregister und im geringen Umfang auch zum Güterrechtsregister. Die meisten Akten haben nur einen geringen Umfang, zumeist ist nur die Eintragung in die jeweiligen Register überliefert, sie bilden dennoch interessante Quellen für das Firmenwesen im Bezirk Reichenau. Nicht vorhanden sind die Register selbst, die im Staatsarchiv in Breslau, Zweigstelle Bunzlau liegen.
Aus den 1930ern und 1940ern sind Akten zur Amtsgerichtsverwaltung erhalten, die einen Einblick in die Arbeit des Amtsgerichts ermöglichen. Überliefert sind weiterhin Akten des Anerbengerichts, vor allem zur Eintragung von Höfen in die Erbhofrollen.
Insgesamt ist der Bestand 50062 Amtsgericht Reichenau damit als hervorragende Quellensammlung für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sowie die Familienforschung zu bewerten.
4. Quellenverzeichnis
[01] Carl Pfafferoth: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung, Berlin 1888, S. 421.
[02] Verordnung, die mit dem 1. October 1879 in Wirksamkeit tretenden Gerichte betreffend vom 28 Juli 1879, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 269.
[03] Ebd.
[04] Hiekel, Bednarek, Dannenberg, Möser: Gerichtsbauten in der Oberlausitz
(Online: https://www.justiz.sachsen.de/smj/download/Gerichtsbauten.pdf, Zugriff 25.06.2025)
[05] Verordnung zur Ausführung des Gesetzes, die Errichtung eines Amtsgerichts in Rei-chenau betreffend vom 11. März 1898, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 22-23.
[06] Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S. 685-691.
[07] Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse vom 1. Juni 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S.331-344.
[08] Verordnung über Entschuldungsämter und gemeinschaftliche Beschwerdegerichte in Entschuldungsverfahren vom 25. Juni 1935, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1935, S. 793-807.
5. Verweise auf Archivgutbestände und Literatur
Ergänzende Archivgutbestände im Staatsfilialarchiv Bautzen:
50318 Kloster St. Marienthal (Patrimonalgericht)
50421 Standesherrschaft Reibersdorf-Seidenberg (Patrimonalgericht)
50422 Königliches Gericht Reichenau
50424 Gerichtsamt Reichenau
50068 Amtsgericht Zittau
50016 Amtshauptmannschaft Zittau
Ergänzende Bestände im Staatsarchiv Breslau, Zweigstelle Bunzlau:
86/131 Akta miasta Bogatyni [Unterlagen der Stadt Reichenau]
86/192 Urzad Stanu Cywilnego w Bogatyni [Standesamt Reichenau]
86/396 Sad Obwodowy w Bogatyni [Amtsgericht Reichenau]
Gesetze und Verordnungen:
Bekanntmachung die Aufhebung der Amtsgerichte Reichenau und Strehla, sowie den Eintritt einiger anderer Jurisdictionsänderungen betreffend vom 11. Juni 1883, in: Ge-setz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 45-47.
Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse vom 1. Juni 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S.331-344.
Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S. 685-691.
Verordnung, die mit dem 1. October 1879 in Wirksamkeit tretenden Gerichte betref-fend vom 28 Juli 1879, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 235-297.
Verordnung über Entschuldungsämter und gemeinschaftliche Beschwerdegerichte in Entschuldungsverfahren vom 25. Juni 1935, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1935, S. 793-807.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes, die Errichtung eines Amtsgerichts in Rei-chenau betreffend vom 11. März 1898, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Kö-nigreich Sachsen, S. 22-23.
Literatur:
Adress- und Einwohnerbücher Stadt Reichenau (Online https://digital.slub-dresden.de/...)
Hiekel, Bednarek, Dannenberg, Möser: Gerichtsbauten in der Oberlausitz
(Online: https://www.justiz.sachsen.de/smj/download/Gerichtsbauten.pdf)
Pfafferoth, Carl: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung, Berlin 1888 (Online: https://archive.org/details/jahrbuchderdeut00pfafgoog/page/n6/mode/2up?view=theater)
Sächsische Staatshandbücher 1879 bis 1934
Rolle, Gerhard W.: Reichenauer Häuserbuch. 1608 - 1850, 2006
Rolle, Gerhard W.: Die Rolles aus Reichenau. Bauern, Häusler, Unternehmer. 1538 - 1945, 2008.
Das Amtsgericht Reichenau wurde im Rahmen des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Ja-nuar 1877, welches die Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung im Deutschen Kaiserreich zum Ziel hatte, als Eingangsgericht eingerichtet. In Sachsen trat das Gesetz gemäß der Ver-ordnung Nr. 62 zum 1. Oktober 1979 in Kraft.
Das Amtsgericht Reichenau löste damit das Gerichtsamt Reichenau in seinen Zuständigkeiten ab. Weitere Vorgängerbehörden waren das von 1853-1856 bestehende Königliche Gericht Reichenau, sowie die Patrimonalgerichte der Standesherrschaft Reibersdorf-Seidenberg und des Klosters Marienthal.
Das Amtsgericht Reichenau war zugehörig zum Bezirk des Landgerichtes Bautzen. Die zu-ständige Kammer für Handelssachen, sowie eine Strafkammer waren beim Amtsgericht Zittau angesiedelt. [01] Zum territorialen Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichtes Reichenau gehörten die Gemeinden:
Reichenau (heute Bogatynia, Polen), 1904: Vereinigung von Reichenau-Klösterlicher Anteil" und "Reichenau-Zittauer-Anteil"
Dornhennersdorf (heute Strzegomice, Polen)
Friedersdorf (ehemalig Biedrzychowice Górne, Polen)
Friedreich (zu Weigsdorf, heute Wolanów, Polen)
Gießmannsdorf (ehemalig Gosciszów, Polen)
Lichtenberg (heute Jasna Góra, Polen)
Markersdorf (heute Markocice, Polen)
Maxdorf (zu Weigsdorf, heute Wyszków, Polen)
Mittelweigsdorf (ehemalig Wigancice Zytawskie, Polen), ab 1923 Weigsdorf
Neugersdorf (zu Weigsdorf, heute Wyszków, Polen)
Oberweigsdorf (ehemalig Wigancice Zytawskie, Polen), ab 1923 Weigsdorf
Oppelsdorf (heute Opolno Zdrój, Polen)
Reibersdorf (ehemalig Rybarzowice, Polen)
Sommerau (heute Biapopole, Polen)
Türchau (heute Turoszów, Stadtteil von Bogotynia, Polen)
Wald (zu Reibersdorf, heute Opolno Zdrój, Polen)
Zittel (ehemalig Pasternik, Polen) [02]
1880 war das Amtsgericht Reichenau mit einer Richterstelle für 13.456 Einwohner zuständig und damit das achtkleinste Amtsgericht im Landgerichtsbezirk. [03] Zu seinen Zuständig-keitsbereichen gehörten die freiwillige Gerichtsbarkeit, die Zivilgerichtsbarkeit und Teile der Strafgerichtsbarkeit. Verwaltungsbefugnisse waren bereits während der Zeit des Gerichtsam-tes 1874 auf die neu gegründete Amtshauptmannschaft Zittau übergegangen.
Mit der Verordnung Nr. 21 wurde das Amtsgericht Reichenau zum 30. Juni 1883 wieder aufgelöst und sein Sprengel dem Amtsgericht Zittau zugewiesen. Dennoch wurde 1890 ein neues Amtsgerichtsgebäude mit dem Gerichtsgefängnis errichtet, heutige Adresse Daszynskiego 29, ein zweigeschossiger Backsteinbau. [04]
Das Amtsgericht Reichenau selbst wurde zum 1. Juli 1898 mit der Verordnung Nr. 19 erneut eingerichtet, wobei die Gemeinden Friedersdorf, Sommerau und Zittel in der Zuständigkeit des Amtsgerichtes Zittau verblieben. [05] Für den Übergangszeitraum blieb das Amtsgericht Zittau zudem für die Vollstreckung bereits angetretener Freiheitsstrafen verantwortlich.
Amtsrichter waren nach den Sächsischen Staatshandbüchern und den Adressbüchern von Reichenau, wobei im Folgenden immer das frühste und das letzte Datum der belegten Amtszeit aufgeführt ist:
1880: Amtsrichter Dr. Erich Willibald Krenkel
1882: Amtsrichter Franz Richard Müller
1899-1903 Amtsrichter Feodor Max Neumann
1905-1921: Amtsrichter Robert Hugo August Bierling
1925-1926: Amtsrichter Karl Otto Kriegel
1927-1931: Amtsrichter Dr. Karl Kemnitzer
1934-1938: Amtsrichter Otto Poite
Ein Grundbuchführer ist erst mit der Wiedereinrichtung 1899 belegt, wahrscheinlich wurden die Grundbücher zuvor vom Gerichtsschreiber geführt. Von 1902 bis 1905 war die Stelle mit der des Rechnungsstellenführers zusammengelegt.
Während der NS-Diktatur von 1933-1945 wurden durch das NS-Regime Ausnahme- und Sondergerichte eingerichtet. Zu nennen ist hierbei die 1933 erfolgte Errichtung eines Anerbengerichtes am Amtsgericht Reichenau, welches auf Grundlage des Reichserbhofgesetzes als Ausdruck der Blut- und- Boden-Ideologie die Unteilbarkeit der Erbhöfe gewährleisten sollte. Das Anerbengericht entschied in Erbhofstreitigkeiten und führte die Erbhöferolle. Zusätzlich zu dem vorsitzenden Richter wurden bäuerliche Laienrichter berufen. [06]
Ebenfalls bedeutsam sind die mit dem "Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Entschuldungsverhältnisse" begründeten Entschuldungsgerichte, welche über Entschuldungsver-fahren von landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieben entschieden. [07] 1935 wurden die Entschuldungsgerichte durch die Entschuldungsämter ersetzt. Das für den Amtsgerichtsbezirk Reichenau zuständige Entschuldungsamt war am Amtsgericht Zittau eingerichtet, für Beschwerden gegen die Beschlüsse war das Landgericht Dresden ver-antwortlich. [08]
1945 wurde der Amtsgerichtsbezirk unter polnische Verwaltung gestellt, womit seine Zuständigkeit endgültig erlosch. Noch schwebende Verfahren wurden in der Folge vom Amtsgericht Zittau übernommen und dort abgeschlossen.
2. Bestandsgeschichte
Der Bestand 50062 Amtsgericht Reichenau wurde 1960 erstmals von Anneliese Schmidt verzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt setzte er sich vor allem aus den 1933, 1939 und 1940 vom Amtsgericht Reichenau an das damalige Landeshauptarchiv Dresden abgegebene Archivalien zusammen, sowie einer weiteren Abgabe von 1953. Im Rahmen ihrer Verzeichnung fertigte Anneliese Schmidt eine Findmittelkartei an. Von den Abgaben 1933, 1939 und 1940 sind zudem Abgabelisten vorhanden, aus denen hervorgeht, dass die damals übernommenen Archivalien überwiegend den Vorprovenienzen des Amtsgerichtes Reichenau zuzuordnen sind, die bei späteren Bestandsbereinigungen insbesondere in den Bestand 50421 Standesherrschaft Reibersdorf-Seidenberg eingegliedert wurden.
Mit der Auflösung des Amtsgerichtsbezirkes 1945 gelangte eine große Anzahl der Unterlagen in das Staatarchiv in Breslau, Zweigstelle Bunzlau, wo sie sich noch heute befinden. Weitere Unterlagen kamen zum Amtsgericht Zittau, etwa Testamente, welche 1951 an das Amtsgericht Berlin-Mitte als zentrales Nachlassgericht übergeben wurden.
Die Findmittelkartei wurde 1963 von F. Bergan, 1965 von D. Niepraschk und 1967 von D. Pech ergänzt, auch aufgrund zweier weiterer Abgaben von 1965 und 1966, die wahrscheinlich auch die mittlerweile geschlossenen Grundbuchabschriften erhielten.
Ein weiterer Zugang erfolgte 2002 vom Amtsgericht Zittau, der insbesondere Unterlagen des Anerbengerichts, sowie der Amtsgerichtsverwaltung, der Genossenschaftsregisterakten und Register enthielt. 2004 erfolgte eine Abgabe von 2,1 lfm. und 2012 von 0,01 lfm. durch das Hauptstaatsarchiv Dresden. Die Abgabe von 2012 wurde mittels Findmittelliste durch Anja Moschke erschlossen. Die letzte Abgabe im Umfang von 0,01 lfm. erfolgte 2021 durch das Bundesarchiv.
2025 wurde der Bestand als Probebestand im Rahmen des Vorbereitungsdienstes von der Anwärterin Deborah Rohne mittels AUGIAS 9.2 erschlossen. Zum Bestand gehörten 6,3 lfm., die bereits einfach erschlossen waren und 2,1 noch unerschlossene lfm. Bei der Bearbeitung wurde sowohl eine Revision der bestehenden Findkartei als auch eine vertiefte Erschließung mittels Enthält-Vermerken von bereits einfach erschlossenen Archivguteinheiten, späteren unverzeichneten Zugängen, sowie den Vorakten durchgeführt.
Folgende Angaben wurden bei der Verzeichnung aufgenommen:
Alte Archivsignatur(en)
Bandangabe
Bemerkung
Bestandssignatur
Bestellnummer
Datierung
Enthält-Vermerk
Darin-Vermerk
Provenienz
Titel
Schadensklasse
Sperrvermerk
Strukturteil
Umfang
Registratursignatur
Für eine Vormundschaftsakte wurden zudem folgende zusätzliche Angaben aufgenommen:
Aktentyp
Geburtsdatum
Geschlecht
Name
Die teilweise bereits virtuell getrennten Vorakten, sowie die Fremdprovenienzen wurden organisch ausgelagert und in einem gesonderten Klassifikationspunkt verzeichnet, um diese zu einem späteren Zeitpunkt mit ihren Provenienzen zusammenführen zu können.
Im Rahmen der Verzeichnung erfolgte eine technische Bearbeitung, bei der die Unterlagen entmetallisiert und bei Bedarf in Dreiklappmappen verpackt wurden. Alle Archivalien sind verpackt.
Der Bestand hat nunmehr einen Umfang von 5,4 lfm, hinzu kommen 2,6 lfm Vorakten und Fremdprovenienz.
3. Bestandsinhalt
Der Bestand des Amtsgerichtes Reichenau umfasst Unterlagen zur Verwaltung des Amtsgerichtes, zur Strafgerichtsbarkeit, der Zivilgerichtsbarkeit und der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie dem Anerbengericht. Aus den zentralen Zuständigkeiten der Strafgerichtsbarkeit und der Zivilgerichtsbarkeit haben sich nur wenige Register erhalten, die übrigen Unterlagen müssen als Kriegsverlust gelten oder liegen im Staatsarchiv in Breslau, Zweigstelle Bunzlau. Die größte Überlieferung bilden damit Unterlagen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, hierbei überwiegen das Grundbuchamt und Registerakten.
Ein Schwerpunkt liegt auf den Unterlagen des Grundbuchamtes, Grundbuchabschriften sind ab 1937 für Reichenau, Reibersdorf, Friedersdorf, Weigsdorf im großen Umfang und im ge-ringeren für Türchau, Gießmannsdorf, Dornhennersdorf, Markersdorf, Oppelsdorf und Lichtenberg überliefert. Die Grundbuchabschriften umfassen jedoch nur die letzten Eintragungen und Löschungen vor 1937 und wurden im Anschluss fortgeführt, nach 1945 wurde die überwiegende Mehrzahl geschlossen. Nachträge durch das Amtsgericht Zittau sind selten festzustellen.
Die zweite große Überlieferung des Grundbuchamtes sind die Grundstücksblätter der Grund- und Hypothekenbücher von Sommerau, Dornhennersdorf, Weigsdorf, Bad Oppelsdorf, Reibersdorf, Reichenau und Friedersdorf, die mit detaillierten Informationen zum Bestand, Ei-gentümern, Rechten und Belastungen hervorragende Quellen für die Baugeschichte im Amts-gerichtsbezirk Reichenau, sowie für die Familienforschung bieten. Die Laufzeit geht von 1847-1950.
Weitere zumeist kurze Vorgänge überliefern Veränderungsanbringen wie Disembrationen und Zergliederungen zu verschiedenen Grundstücken. Verwaltungsunterlagen über die Verwaltung und die Struktur des Grundbuchamtes sind nicht überliefert.
Einen weiteren Überlieferungsschwerpunkt bilden die Registerakten zum Vereinsregister, Genossenschaftsregister, Handelsregister und im geringen Umfang auch zum Güterrechtsregister. Die meisten Akten haben nur einen geringen Umfang, zumeist ist nur die Eintragung in die jeweiligen Register überliefert, sie bilden dennoch interessante Quellen für das Firmenwesen im Bezirk Reichenau. Nicht vorhanden sind die Register selbst, die im Staatsarchiv in Breslau, Zweigstelle Bunzlau liegen.
Aus den 1930ern und 1940ern sind Akten zur Amtsgerichtsverwaltung erhalten, die einen Einblick in die Arbeit des Amtsgerichts ermöglichen. Überliefert sind weiterhin Akten des Anerbengerichts, vor allem zur Eintragung von Höfen in die Erbhofrollen.
Insgesamt ist der Bestand 50062 Amtsgericht Reichenau damit als hervorragende Quellensammlung für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sowie die Familienforschung zu bewerten.
4. Quellenverzeichnis
[01] Carl Pfafferoth: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung, Berlin 1888, S. 421.
[02] Verordnung, die mit dem 1. October 1879 in Wirksamkeit tretenden Gerichte betreffend vom 28 Juli 1879, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 269.
[03] Ebd.
[04] Hiekel, Bednarek, Dannenberg, Möser: Gerichtsbauten in der Oberlausitz
(Online: https://www.justiz.sachsen.de/smj/download/Gerichtsbauten.pdf, Zugriff 25.06.2025)
[05] Verordnung zur Ausführung des Gesetzes, die Errichtung eines Amtsgerichts in Rei-chenau betreffend vom 11. März 1898, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 22-23.
[06] Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S. 685-691.
[07] Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse vom 1. Juni 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S.331-344.
[08] Verordnung über Entschuldungsämter und gemeinschaftliche Beschwerdegerichte in Entschuldungsverfahren vom 25. Juni 1935, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1935, S. 793-807.
5. Verweise auf Archivgutbestände und Literatur
Ergänzende Archivgutbestände im Staatsfilialarchiv Bautzen:
50318 Kloster St. Marienthal (Patrimonalgericht)
50421 Standesherrschaft Reibersdorf-Seidenberg (Patrimonalgericht)
50422 Königliches Gericht Reichenau
50424 Gerichtsamt Reichenau
50068 Amtsgericht Zittau
50016 Amtshauptmannschaft Zittau
Ergänzende Bestände im Staatsarchiv Breslau, Zweigstelle Bunzlau:
86/131 Akta miasta Bogatyni [Unterlagen der Stadt Reichenau]
86/192 Urzad Stanu Cywilnego w Bogatyni [Standesamt Reichenau]
86/396 Sad Obwodowy w Bogatyni [Amtsgericht Reichenau]
Gesetze und Verordnungen:
Bekanntmachung die Aufhebung der Amtsgerichte Reichenau und Strehla, sowie den Eintritt einiger anderer Jurisdictionsänderungen betreffend vom 11. Juni 1883, in: Ge-setz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 45-47.
Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse vom 1. Juni 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S.331-344.
Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1933, S. 685-691.
Verordnung, die mit dem 1. October 1879 in Wirksamkeit tretenden Gerichte betref-fend vom 28 Juli 1879, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 235-297.
Verordnung über Entschuldungsämter und gemeinschaftliche Beschwerdegerichte in Entschuldungsverfahren vom 25. Juni 1935, in: Reichsgesetzblatt. Teil 1, 1935, S. 793-807.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes, die Errichtung eines Amtsgerichts in Rei-chenau betreffend vom 11. März 1898, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Kö-nigreich Sachsen, S. 22-23.
Literatur:
Adress- und Einwohnerbücher Stadt Reichenau (Online https://digital.slub-dresden.de/...)
Hiekel, Bednarek, Dannenberg, Möser: Gerichtsbauten in der Oberlausitz
(Online: https://www.justiz.sachsen.de/smj/download/Gerichtsbauten.pdf)
Pfafferoth, Carl: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung, Berlin 1888 (Online: https://archive.org/details/jahrbuchderdeut00pfafgoog/page/n6/mode/2up?view=theater)
Sächsische Staatshandbücher 1879 bis 1934
Rolle, Gerhard W.: Reichenauer Häuserbuch. 1608 - 1850, 2006
Rolle, Gerhard W.: Die Rolles aus Reichenau. Bauern, Häusler, Unternehmer. 1538 - 1945, 2008.
- 2025-09-30 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5